Eine irische Bestandsaufnahme für die Monate April und Mai

Zugegeben, die Überschrift ist etwas paradox – wie konnte ich mir nur anmaßen dass Iren wissen was eine Bestandsaufnahme ist, wenn Organisation schon ein Fremdwort für sie ist. Doch genug von meiner Affektion für die irische Lebensart, knüpfen wir doch da an wo ich zuletzt aufgehört hatte. Mein letzter Schrieb liegt schon wieder mehr als einen Monat zurück.

Sieben Stunden Joystick Legasthenie 

Erschreckend: Irische Möwen immer aggressiver

So oder so ähnlich sah schließlich mein Alltag aus. Ich sah hinter mich und es lagen schon zwei Monate hinter mir in denen ich den Beruf des „QA Localisation Testers“ (de: Qualitässicherung Lokalisierungs-Tester) ausübte. Klingt schön, ist in Wahrheit aber nichts anderes als Spiele zu testen und aufzuschreiben was denn alles verbessert werden kann und muss. Ich kämpfte mich durch Berge fehlerhafter Untertitel, falscher Übersetzungen, asynchroner Lippenbewegungen, nicht funktionierendem Gameplays – dem üblichen eben. Die Liste ist noch viel länger, doch all das war mein Aufgabenbereich, meine linguistische Spielwiese auf der ich mich Tag für Tag austoben durfte.

Das war dann das was ich fünf Tage die Woche vor mir hatte – wenn es schlecht lief. Wenn es gut lief hatten die Builds – die aktuell verbesserten Spieleversionen – ein wenig Verspätung. Letzteres führte dazu dass sich mein Kaffekonsum immens steigerte und ich meine Zeit verstärkt auf Zeit.de, FAZ.de, LeMonde.fr und natürlich auch ganz klischeehaft auf allerlei Gamingseiten wie Gamestar verbrachte. Ich musste ja immerhin den Anschein wahren, dass ich mich wenigsten ein wenig mit Spielen beschäftige, selbst wenn
ich nichts zu tun hatte.

Doch leider trat ersteres recht häufig auf, was dann doch einen signifikant höheren Arbeitsaufwand bedeutete. Doch es hatte auch seine guten Seiten, denn der drohende Koffeinschock aus Langeweile rutschte in weite Ferne und außerdem hatte man mal das Gefühl wirklich gebraucht zu werden. Auch wurde ich dem deutschen Klischee gerecht übergründlich und kleinlich zu arbeiten, doch das stand ja auch in meinem CV – ich hatte die Leute vorher davor gewarnt. Trotz allem machte es doch ziemlichen Spaß, und man könnte da nahezu von einem Traumjob sprechen – zumindest für die kurzfristige Ausübung, so wie ich es plante.

 

Strom, Internet, Vermieter und das Finanzamt

Ich glaube ich erwähnte schon vielfach wie sehr ich irische Organisation liebe. Nachfolgend ein paar Beispiele aus den geneivollsten Zügen von den Menschen, die mein Geld wollen.

Mein Vermieter und mein Internetanbieter

Da wäre zum einen der Vermieter, der sich durch irgendeine Agentur vertreten lässt. Wir haben nie einen Menschen getroffen. Alles was wir bekamen waren E-Mails um uns mitzuteilen, dass wir ein „Agreement“ bekommen werden und nebenbei noch eine Mieterhöhung um 100
Euro auf 1050 Euro pro Monat – ein wahres Schnäppchen. Ein paar Tage später lag dann auch alles im Briefkasten, zwei Versionen des Agreements von denen eine unterschrieben zurückgeschickt wurde. Wir bezahlten Miete und Kaution. Ein paar Tage später gab es dann wieder eine E-Mail wo denn das Geld bliebe. Wir schrieben, dass alles schon auf das im Vertrag angegebene Konto überwiesen wurde, wobei sich herausstellte, dass das Konto im Vertrag das falsche war. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und sage, dass nie jemand außer uns dieses Agreement gelesen hatte.

Weiter geht es mit einem neuen Internetanbieter. Bevor wir jedoch Internet bekommen muss natürlich erst ein Elektriker vorbeischauen um zu beurteilen ob wir denn einen Anschluss haben. Trotz eidesstattlicher Versicherung und eines (Blut-)Schwures glaubte man uns nicht und schickte uns einen Elektriker ins Haus. Mein treuer Mitreisender musste sich deshalb extra einen Tag freinehmen, denn Elektriker arbeiten nur von zehn bis drei Uhr, und auf keinem Fall am Wochenende. Und der Elektriker kam und stellte fest dass wir ja tatsächlich einen Anschluss haben – damit hätte ich wahrlich nicht gerechnet und war davon so geschockt, dass ich mehr erst mal Valium einwerfen musste.

Dann war da noch das allseits beliebte Finanzamt, das ich kontaktieren musste um meine zu viel bezahlten Steuern zurückzufordern. Nach mehreren Anrufen in denen man mir unter anderen vorwarf ich würde drei Arbeitgeber haben und ich ja eigentlich einen ganz anderen Beruf ausübe geriet ich endlich an jemand sachkundiges, der die Sache nun hoffentlich für mich erledigt hat. Ich bin mir da leider nie so ganz sicher.

Heimisches Einrichten – Ein deutscher Außenposten in Dublin

Neben all dem beruflichen sollte man aber nicht sein privates Umfeld vernachlässigen. Es war an der Zeit die Wohnung etwas heimischer einzurichten, und wo könnte man besseres Material dafür finden als im ansässigen IKEA? Gesagt, getan – wir nahmen den Bus in die Vorstadt und hatten den Kopf voller Ideen und ein knappes Budget. Zwei Dinge die man im besagten Möbelhaus eigentlich vereinbaren kann.

Am Ende gingen wir mit drei Lampen, einem Regal, drei Pflanzen, diversen Küchenutensilien, verschiedenen Accessoires und noch viel viel mehr aus dem Laden. Das schlimmste an der ganzen Sache war, dass man mir keinen Bambus verkaufen wollte, da ja kein Preisschild an der Pflanze sei. Ich ging bislang nie ohne einen Bambus aus einer IKEA-Filiale, doch dieses Mal hatte ich den Kampf um das Süßgras verloren. Voller Frust aß ich am Ausgang einen Hotdog und schmiedete einen Plan, wie ich und meine zwei Begleiter all das Zeug zum Bus schleppen sollten und dann noch durch halb Dublin an das Ziel unserer Reise – unsere Wohnung. Ich fühlte mich zwischenzeitlich wie ein DHL-Lieferant ohne Tarifvertrag als wir dann noch an der falschen Station ausstiegen. Doch letztlich hatte sich der Aufwand gelohnt und wir konnten einem recht uncharmanten Fleck in Dublin ein wenig Leben und Stil einhauchen.

Zudem kamen noch Porträts von Wilhelm II. und Napoleon hinzu und auch die preußische Kriegsflagge wurde im Wohnzimmer gehisst. Um politisch korrekt zu bleiben und etwaigen extremistischen Anschuldigungen präventiv zu begegnen habe ich auch noch eine Flagge der Sowjetunion und Nordkoreas bestellt. Ich bin eben ein Anhänger der extremen Mitte.

Alles hat ein Ende…

…nur die Wurst hat zwei. Und wo wir gerade bei Heimat und Wurst sind kann ich es kaum abwarten in deutsche Gefilde zurückzukehren, wenn dort für mich der Schwenker glüht, und auf dem Tisch schon das Laib Brot mit Schinken verziert bereit steht. Doch eigentlich wollte ich auf etwas anderes hinaus – nämlich auf das Ende meiner Tätigkeit als Spieletester. Man erinnert sich, ich wurde vor einigen Monaten vor die Wahl gestellt, ob ich denn weiterhin die sichere Stelle als Telefonknecht behalten möchte oder es wage und das Risiko eingehe für befristete Zeit mein Dasein mit Computerspielen zu verschwenden.

Neuer Traumjob: Schiffskettenschweißer

Ich entschied mich ja bekanntermaßen für letzteres, und doch gab es einige Verärgerung meinerseits über die Nicht-Verlängerung meines Vertrages, und abermals durfte ich mich auf den Boden der Realität ziehen lassen. Aber es ist schon ärgerlich, wenn man von einer Seite hört, dass es keine Vertragsverlängerungen gibt, von anderer Seite dass es welche gibt, und am Schluss nahezu jeder eine Verlängerung in der Tasche hat. Ich war davon ja schließlich ausgenommen, da ich ja angeblich aus unerfindlichen Gründen nicht mehr für eine Verlängerung zur Verfügung gestanden hätte. Und außerdem kommunizierte die Führungsebene nur per Excel-Tabelle in der ein Monat fehlte. Dieses Gespräch wurde übrigens an dem Tag geführt an dem mein Vertrag auslief und ein Tag vor meinem Geburtstag. Ich liebe den zeitgenössischen irischen Lebensgeist – und all diese zielorientieren, organisierten Menschen in diesem Land die solch sorgfältige Pläne schmieden und ihn damit prägen.

Man könnte schließlich sagen, dass ich am Schluss mal wieder mit nichts da stand weil die Menschen mal wieder nicht wieder miteinander reden konnten. Und anhand von Leistungskriterien wurde leider ohnehin nicht entschieden – vielmehr nach dem Amigo Prinzip. Ich suchte dann am gleichen Abend mit ein paar Arbeitskollegen ein Pub in Dublin auf und feierte in meinen Geburtstag und die anstehende Arbeitslosigkeit hinein. Natürlich mit Whisky und Guinness, so wie sich das für einen Arbeitslosen gehört.

Das Leben ohne Arbeit

Da sitze ich nun, es ist vier Uhr morgens und ich versuche noch einen konstruktiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Tagsüber bereite ich mich dann auf meine Youtube-Karriere vor, denke darüber nach was ich denn nicht alles machen könnte und versinke ab und an in Selbstmitleid und belasse es dann bei dem Gedanken. Manchmal sitze ich auch da schneide stundenlang an Videos herum, bearbeite meine Fotos, die sich mal wieder angehäuft haben oder versuche meine Skills in Battlefield zu verbessern. Ich halte um mich herum alles sauber, gehe einkaufen und geh ab und an mal eine Runde durch die Stadt. Ich verbringe viel Zeit auf Teamspeak und spreche mit Leuten aus der Heimat, spreche darüber was ich hier so erlebe und wie sehr ich manchmal all die alten Tage vermisse und wie sehr ich mich ab und an auf meiner Rückkehr freue.

Auf dich, Genosse!

Ich müsste eigentlich viel mehr machen, doch all dieser Vertragsverlängerung Humbug hat mich für kurze Zeit den Glauben an die Menschheit verlieren lassen, zumindest gebe ich das einfach mal als Entschuldigung an für meine Untätigkeit in den letzten Tagen an. Es wird mal wieder Zeit etwas in Angriff zu nehmen, etwas eigenes, etwas das ich selbst geschaffen habe. Ich muss ja schließlich fleißig Erfahrung sammeln um euch berichten zu können, rede ich mir jetzt mal ein.

Eine Laudatio an meinen Mitreisenden

Trotz der momentanen Durststrecke ist es mal an der Zeit ein gewaltiges Lob an meinen Mitreisenden auszusprechen, der mir hier während meiner großen Reise zur Seite steht. Man muss sich einfach mal für die grandiosen Kochkünste bedanken, die mich jeden Tag aufs Neue überraschen und deliziöse Speisen hervorrbringen. Ich muss mich auch einfach mal dafür bedanken, dass alles so glatt läuft und Streit ein Fremdwort in diesem Haushalt ist, und wir unseren Ärger lieber an der Staatsmacht in Form des Finanzamtes auslassen. Ich könnte mich an noch so vielen Stellen bedanken, aber ich bin einfach nur froh, dass wir so weit gekommen sind, und wir Dinge einfach mal gemacht haben, selbst wenn es zwischenzeitlich mal recht dunkel aussah.

Der Ausblick für Kommendes

Genug der Sentimentalität – es wird Zeit für den Ausblick auf das was kommen wird. Und ich denke da kommt einiges. Jetzt da ich Zeit habe, könnte es wirklich was mit der Youtube-Karriere werden, doch dazu mehr, wenn es soweit ist. Außerdem will endlich mal ein eigenes Projekt angehen, aber auch hier werde ich euch natürlich auf dem Laufenden halten.

Schließlich stehen ab nächste Woche noch unzählige Besuche aus der Heimat an, worüber ich mich natürlich wie ein kleines Kind freue. Es gibt nichts Schöneres als seiner Familie und seinen Freunden das zu zeigen, was man hier so erreicht hat. Ich denke auch hier werden einige Bilder und Berichte folgen.

So jetzt wird es schon hell draußen, Progressive House tönt auf meinen Ohren, und ich hab immer noch ein paar Dinge zu erledigen – beispielsweise den Text mit Bildern auszuschmücken. Von daher hier die übliche post scriptum Floskel:

Ich bedanke mich natürlich wieder bei jedem, der all diesen Schrieb bis zum Ende ertragen hat – also wahrscheinlich wieder nur bei mir selbst. Hab ich gut gemacht! Danke, weiß ich. (Ich sollte wirklich aufhöre diese ganzen Monologe zu führen…) 

Unterbelichtete Fotos gibt es außerdem beim Tumblr-Blog sowie im meinem heimischen Negativlabor namens Fotostube.

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