Teil 1 – The Lookout
Der nasse Wind peitscht gegen die Jacken, die Schutz bieten sollen. Der matschige Boden lässt die Füße entgleisen. Ein Fels ist der einzige Schutz vor den stürmenden Böen, die mit einem Wolkenbruch aufgezogen sind. Jeder Ton verstummt im prasselnden Regen. Von einem auf den anderen Moment können die sich Naturgewalten im Angesicht der schroffen Felslandschaft der Isle of Skye offenbaren. So auch bei dem Aufstieg zum Old Man of Storr – einem Wahrzeichen der schottischen Insel.

Schottland ist berühmt für seine Geschichte, seine Burgen und Schlösser. Aber viel mehr noch für seine unverwechselbare Landschaft. Mit seinen Inseln und einzigartigen Felslabyrinthen bietet Schottland ein Paradies für Wanderer und Entdecker. Die Mountain Bothies Association (MBA) hat es sich seit 1965 zur Aufgabe gemacht all jenen Unterkünfte zu schaffen, die sich in die Berge wagen. Denn mit Ende des Zweiten Weltkrieges packte die Schotten selbst die Wanderlust: die Arbeitszeiten wurden kürzer und Bauern zogen von den ländlichen Gegenden in die Stadt und ließen ihre Scheunen und Häuser zurück. „Bothying“ kam im Mode, und man suchte Schutz in den Gebäuden vor Nacht und Wetter. Die MBA sorgt bis heute für die Instandhaltung von über 100 solcher Schutzhütten, die sich über das ganze Lande verteilen.
Im Rahmen meiner Schottlandreise, die mich zunächst nach Portree auf die Insel Skye führte, erfuhr ich zum ersten Mal von diesen Unterkünften. Im Independent Hostel erzählt der Inhaber Gordon von einem „Shelter“, der am Nordkap der Insel liegt. Per Anhalter machen wir uns auf den Weg Richtung Norden. Am Ortsausgang sammelt uns ein englisches Ehepaar ein. Hitchhiking auf der Isle of Skye ist keinesfalls etwas Ungewöhnliches – der öffentliche Nahverkehr fährt nur spärlich, und so wurde es nahezu schon zu Gewohnheit, dass jeder der einen Platz in seinem Auto hat, Wanderer und Reisende mitnimmt.
Wir lassen uns auf halber Strecke absetzen, wo der Aufstieg zum Old Man of Storr bevorstehen soll. Doch kurz vor dem Ziel zwingt uns eine Unwetterfront in die Knie. Die Wanderwege in Schottland sind in der Regel eher unbefestigt bis nicht vorhanden. Aber eben das macht die Lande auch so charmant, ebenso wie das typisch grau-verregnete Wetter. Schnell verschwinden die Mitstreiter, die den Berg erklimmen wollen in den weißen Nebelwolken, die um einen herum aufziehen. Und schnell beschleicht einen ein merkwürdiges Gefühl zwischen Einsamkeit und Freiheit.
Trotz der widrigen Bedingungen schaffen wir den Abstieg zurück zur Hauptstraße. In Anbetracht der nassen Ausrüstung und Kleidung schwindet die Hoffnung auf eine schnelle Mitfahrgelegenheit, doch glücklicherweise werden wir von Gegenteil überrascht. Zwei schottische Frauen sind auf dem Weg zu einem Café ein paar Kilometer die Straße hinauf. Wir nehmen das Angebot dankend an in der Gewissheit wenigstens ein paar Minuten im Trockenen verbringen zu können. Und natürlich in der Aussicht auf Kaffee.

Wir stoppen vor dem Skye Pie Cafe, das wenige Kilometer vor der nächsten Siedlung Staffin liegt. Schnell werden die Rucksäcke aus dem Kofferraum geladen damit wir uns in das Cafe flüchten können. Wir stehen im Foyer – auf den Holzdielen unter uns sammelt sich das Wasser. „We got no table at the moment“, erklärt uns die rothaarige Kellnerin während sie Kaffee und Kuchen in den Nebenraum trägt. Wir richten uns kurz und nehmen einen Becher Kaffee mit auf den Weg zur nächsten Straße.
Kurze Zeit später hält ein Pick-Up mit Anhänger am Straßenrand und nimmt uns mit. Der stämmige Mann, der um die 50 Jahre alt ist, fragt uns ob wir im Skye Pie Café waren:“Did you see the ginger girl working there?“. Ich nicke vorsichtshalber und erhalte als Antwort „That’s my daughter“. Wir unterhalten uns ein wenig und schnell wandelt sich die Konversation von Small-Talk in eine kleine politische Diskussion. Im Hinblick auf die Flüchtlingswelle konnten wir uns schnell auf den Konsens einigen, dass man hilft wo man kann.
Auf halber Strecke in Staffin werden wir rausgelassen. Es ist die größte Ortschaft an der Ostküste nördlich von Portree. Hier gibt es sogar einen kleinen Shop und einen verregneten Strand. Wieder warten wir ein wenig bis das nächste Auto hält – ein französisches Paar Ende Zwanzig hält am Straßenrand. Wir quetschen uns auf die Rückbank. Die Beiden wollen zum Aussichtspunkt am Quiraing. Dort, wo man den schönsten Blick über Skye haben soll. Wir fahren etwas entgegen unserer ursprünglich geplanten Route die Serpentinen auf den Berg hinauf. Wasserfälle sprießen aus den mächtigen Felsen, die die schmale Straße winzig erscheinen lassen. Die allgegenwärtige Feuchtigkeit macht mittlerweile meiner Kamera zu schaffen, die immer öfters resigniert.
Ich fange trotz aller Erschwernisse ein paar Bilder ein, und unsere französische Mitfahrgelegenheit bietet uns sogar an, uns direkt zu unserem angestrebten Ziel zu fahren, obwohl sie dafür einen Umweg in Kauf nehmen müssen. An einer alten roten Telefonbox – ganz in britischer Manier – steigen wir aus. Nach einem zweistündigen Fußmarsch vorbei an Schafen, Kühen und Steinruinen stoßen wir auf steile Felsklippen, an denen ich fast meine Wasserflasche verliere. Auf der Kuppe steht ein Holzhaus. Man kann vor sich das Europäische Nordmeer und hinter sich die Lande von Skye überblicken. Über der Eingangstür der Hütte hängt ein Schild: „The Lookout“.

Hier, wo man keine Menschenseele vermutet, stoßen wir auf Nick und Stan aus Belgien. Die beide haben sich bereits im Schlafraum eingerichtet. Der Schlafraum besteht aus zwei Holzeebenen, auf denen die Beiden ihre Matten und Schlafsäcke ausbreiteten. Durch einen schmalen Zwischenraum gelangt man in einen Raum, der aus einer Glasfront besteht. Vor den angelaufenen Scheiben ist ein kleiner Holztresen befestigt auf dem wir unsere Vorräte stapeln. Gemeinsam mit unseren neuen Bekanntschaften aus Belgien taufen wir unseren Raum zum „Living Room“, in dem wir uns mit allem Sack und Pack ausbreiten.
Während wir uns schmackhafte Käse-Macaroni über dem Gaskocher zubereiten, hören sehen wir durch die beschlagenen Fenster zwei Silhouetten, die auf die Hütte zukommen. Die Tür zur Hütte öffnet sich, und das Knarren der Scharniere geht in einer hektischen spanischen Unterhaltung unter. Es ist kurz vor Anbruch der Dämmerung als Elena und Miguel ankommen.
Zur Abendstunde sitzen wir in gemütlicher Runde im Schlafraum. Auf der oberen Ebene, dem neuernannten „Second Floor“, sitzt Spanien, auf der unteren Ebene hat die belgische Fraktion Platz genommen. Wir haben es uns davor auf Hockern bequem gemacht. Die einzige Lichtquelle sind neben ein paar Teelichtern die Kopflampen von Nick und Stan. Aus einem alten Funkradio tönen abwechselnd Dudelsackmelodien und Elektrobeats. Mit deutscher Ingenieurskunst und etwas Alufolie verstärken wir die Antenne des Radios. Nick, der eigentlich Security Manager in Antwerpen ist teilt seinen Isle of Skye Whisky mit uns. Stan, der Soziologie in Belgien studiert, gibt eine Runde Pringles aus. Elena, die Ärztin unter uns, und Miguel, der in der IT-Branche seine Profession gefunden hat, spendieren getrocknete Mango.
Wir unterhalten uns bis in die Nacht: über unsere Reise, über unsere Heimat, über unsere Weltbilder. Elena erzählt von ihrer Odyssee bis zum Nordkap, das sie in nur einem Tag von Edinburgh aus per Anhalter erreichte. Stan und Nick schwärmen von belgischen Festivals, und ihrem ersten Besuch hier am Lookout. Damals mussten sie Früchte aus einem Garten klauen, da sie keine Vorräte mehr hatten.
Je später der Abend wird, desto tiefgründiger werden die Themen. An einem der wohl einsamsten Orte der Insel sprechen wir über alte Freunde, unsere Träume und Ziele.
Am nächsten Morgen wird der „Living Room“ von Licht durchflutet. So kurz die Nacht auch war, so gut tut jede Minute der Erholung. Unsere Kleidung ist mittlerweile moderat trocken, und wir bereiten uns mit Milch und Äpfeln ein wenig Porridge über unserem Campingkocher zu. Ich putze mir an den Klippen die Zähne und genieße noch einmal das Rauschen des Meeres. Während sich Elena und Miguel schon verabschieden packen wir unsere Rucksäcke und bereiten uns auf die nächste Etappe vor. Wir verabschieden uns von Nick und Stan und treten den Rückweg Richtung Straße an.

Wir kommen wieder an der alten roten Telefonbox an. Die Sonne strahlt, und zwei Franzosen warten bereits auf einen Bus. Wir wollen uns weiter mit Hitchhiking durchschlagen – zurück zum Quiraing und dessen Felslabyrinth bezwingen. Doch als eine ganze Kolonne von Autos vorbeifährt werden wir schnell stutzig. Wir sehen die schwarzen Anzüge und Krawatten, und uns wird schnell klar, dass die halbe Insel auf dem Weg zu einer Beerdigung ist. Eine halbe Stunde vergeht bis der Strom von Autos abreißt. Ein großer Hyundai-Kombi hält am Straßenrand, vorne sitzen zwei asiatische Frauen. Hätten wir gewusst, was uns da für eine Fahrt erwartet, hätten wir lieber noch eine halbe Stunde gewartet.
– Fortsetzung „Teil 2 – The Quiraing“ folgt –
Noch mehr Bilder gibt’s im Schottlandalbum und im Portfolio.
Hier geht’s zum Video über die Isle of Skye.
Sehr schöner Beitrag. Ich freue mich schon, wenn ich nächstes Jahr auch nach Schottland komme
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Vielen Dank! Für Tipps bezüglich Reisezielen stehe ich jeder Zeit zur Verfügung!
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