Endlich wieder in der Großstadt. Täglich sehe ich tausend neue unbekannte Gesichter, und täglich wird mein Gesicht tausend mal als unbekanntes gesehen. Es ist schwierig aufzufallen, selbst die Yuppies und Alternativen, ja sogar die, die laut umherbrüllen, haben Schwierigkeiten wahrgenommen zu werden. Es dauert nicht lange, da setzt die Routine ein, der Alltagstrott hat einen fest im Griff. Bis das Klingeln von Kupfermünzen im Metallbecher am Straßenrand kaum mehr wahrgenommen wird.
Viele Menschen machen in Großstädten wie Hamburg Urlaub. Es wimmel nur so von Touristen an Orten wie den Landungsbrücken, dem Jungfernstieg oder der Großen Freiheit. Aber je öfters man am Hafen entlang geht, desto bewusster muss man auf das Wasser schauen, und sich klar machen wo man überhaupt ist. Doch auch die Routine hat ihr gutes – so etablierte sich die letzten Wochen doch so etwas wie ein Biorhythmus, der zu einem regelmäßigen Schlaf verhalf. Doch ich bin mir sicher, dass mein unstetes Wesen das nicht auf lange Dauer aushält.
Um die alltägliche Matrix zu durchbrechen entschließe ich mich dann am Wochenende ein schönes Event in der Gegend auszusuchen. Der Samstag fiel leider raus, da die Bürgersteige aussahen wie die Elbe. So treibt mich mein sonntäglicher Spaziergang zu einem Designmarkt auf dem Spielbudenplatz an der Reeperbahn. Hier sollten kreative Köpfe ihre Produkte darstellen, die sie in mühsamer Eigen- und Handarbeit zusammengeschustert haben. Nun gut, denke ich mir, ein Versuch ist es wert.
Dort angekommen bin ich mir schnell wieder bewusst geworden warum ich solche Veranstaltungen meide. In all den Menschenmassen, die sich an Holzschildern erfreuen, auf denen wahrscheinlich ein dreijähriger „Sweet Home“ mit Aquarellfarben drauf kritzelte, verkommt man schnell zum Nihilisten. Wie können sich Menschen eine Lampe kaufen, die aus einer 1,99€ Lidl-Weinflasche und einer Glühbirne für 2,50€ zusammengebastelt wurde, und nun vor lauter Individualität 120€ kosten soll. Ich kämpfe mich dennoch einmal über den Platz um mich zu vergewissern, dass ich wirklich nichts für mich gewinnen kann. Der ein oder andere Stand verschafft mir dann doch etwas Hoffnung, aber im Großen und Ganzen sind manche Händler kaum von einem Lumpenkrämer zu unterscheiden.
Ich trete also die Flucht Richtung Wasser an. Kurz bevor ich das Elbufer erreiche hält mich mal wieder jemand an. Natürlich wieder um ein Foto zu machen. Ich scheine tatsächlich eine Aura der Professionalität auszustrahlen – denke ich mir jedenfalls, bis ich wieder ein iPhone in die Hand gedrückt bekomme, um anspruchsvoll den Auslöser zu drücken. Ich fotografiere einen Mann, der ein DMAX-Schlüsselband umhängen hat, und neben drei Frauen posiert, die zum Teil auf einem Stromkasten sitzen. Jeder hat einen Becher in der Hand, der Stromkasten wurde zur Minibar umfunktioniert.
Als zu Beginn der Woche dann tatsächlich das Wetter Sonne beschert, und ich meine Redaktion recht pünktlich verlassen kann, mache ich mich postwendend auf den Weg zu den Docklands. Es ist ein angenehm warmer Sommerabend, der ein oder andere hat die gleiche Idee wie ich. Ein paar Treppen später erwartet mich dann ein recht phänomenaler Ausblick auf die Tore der Welt – den Hamburger Hafen. Es dauert nicht lange, da rücken ein paar junge Leute an, die weitaus professioneller aussehen, als ich mit meiner läppischen EOS 600D.
Nach einer Weile fragte ich dann die Jungs, die mittlerweile ein Stativ aufgebaut hatten, und ihre Kameras in Intervallen fotografieren ließen, was sie denn so treiben. Nach einem kurzen Wortwechsel stellte sich tatsächlich heraus, dass ich die beiden von den BackpackBros über eine Ecke, die bis nach Neuseeland geht, kenne. Abermals folgte aus der Verkettung willkürlicher Ereignisse eine recht amüsante Begegnung und eine neue Bekanntschaft. Zwei neue bekannte Gesichter unter tausenden Unbekannten.