Ein kleiner Brief an Europa

Liebes Europa,
ich erkenne dich nicht mehr. Und immer öfters machst du mir Angst. Vielleicht werde ich auch einfach nur älter – doch so wie ich dich in Erinnerung habe, hattest du große Ziele. Vom Frieden über Wohlstand, von Fortschritt und Wachstum. Aber im Moment steckst du in deiner Pubertät. Es scheint als hättest du die falschen Freunde gefunden und seiest auf die schiefe Bahn geraten.

Die Blase in der ich und wir uns so wohl und sicher gefühlt haben ist zerplatzt. Die Welt hat an deiner Tür geklopft. Gerade jetzt wo du eigentlich genug mit der selbst beschäftigt bist. Gerade jetzt, wo die Welt so unheimlich kompliziert geworden ist, dass du sie nicht mehr fassen kannst. Eine Welt so schnelllebig und verstrickt, dass du dich auf einmal wie Minotaurus fühlst. Du hast dich in den letzten Jahren sehr verändert – und mit dir deine Welt um dich herum. Es scheint nicht mehr viel übrig von dem, was dich einst so beflügelt hat – deine Ideen, deine Inspirationen, deine Pläne. Dem Gedanken davon eine Gemeinschaft von Menschen zu schaffen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und heute stehen deine Freunde neben dir und fallen dir in den Rücken, schließen nicht nur Grenzen, sondern auch die Augen und wollen nicht wahrhaben, dass Ideen und Pläne auch an große Herausforderungen gekoppelt sind. Andere werden mitten in ihrem Herzen getroffen, lassen es zu, dass ihr Schmerz in Hass ausufert, und handeln entgegen ihrer ursprünglichen Idee vom Frieden.
In den letzten Tagen hört man immer häufiger das Wort Krieg. Krieg ist wohl etwas, was seit dem Beginn der Menschheit existiert. Oft auch im Kleinen, im Eigenen. Krieg gehört zu Menschheit genauso dazu wie die Utopie des Friedens. Das heißt aber nicht, dass wir Krieg nicht entgegenwirken können. Die Idee von Europa hat das für viele Dekaden geschafft – wenn auch leider nur auf europäischen Boden. Auch Terror ist etwas, mit dem wir leben müssen. Es gehört zu den Risiken des 21. Jahrhunderts, wie Martin Schulz schon richtig angemerkt hat. Aber Terror ist viel mehr als das bloße Töten von Menschen – es ist die Verbreitung von Angst und Schrecken, aus denen viel zu oft Wut und Hass resultieren, die im Krieg ausarten.
Wenn tausende Menschen in Paris auf die Straße gehen, um eben genau auf dies aufmerksam zu machen, zeugt es von einer unglaublichen Arroganz und Doppelmoral der Mächtigen den Krieg auszurufen. Es zeugt von einer unglaublichen Ignoranz weiterhin Bomben auch auf Unschuldige zu werfen – in der Hoffnung man würde damit irgendwem irgendetwas beweisen. Es gibt noch Liebe unter den Menschen, und die sollte man nicht mit Waffen, sondern mit der Liebe selbst verteidigen.
Und ich weiß auch, dass Europa nicht mit ein paar Wörtern zu retten ist. Die Mauer, die wir um diese Gemeinschaft gegenüber den Gefahren der Welt über all die Jahre errichtet haben bröckelt. Wir würden gut daran tun, sie nicht wieder einfach zu flicken, sondern sie gleich ganz abzureißen. Ein offenes Ohr für die Probleme unserer Zeit haben, gemeinsam Lösungen zu finden, und uns wieder die Hand zu reichen, statt uns gegenseitig die Stirn zu bieten. All das bedarf einer ungeheuer großen Portion Mut. Mut sich wieder auf das zu berufen, was uns so groß gemacht hat, aber auch auf das, was wir auf unseren Weg einstecken mussten.
Liebes Europa, du stehst vor einer Welt in Trümmern, um die du dich kümmern musst – um die wir uns alle kümmern müssen. Jede Generation hat ihre Herausforderungen, ihre Probleme und ihre Lösungen. Wir sollten dafür sorgen, dass die, die nach uns kommen wieder ein Europa finden, an das ich mich noch aus Schulbüchern erinnere. An eines, das den Krieg hinter sich gelassen hat und sich auf Frieden gründet. Das sich der Probleme der Zeit annimmt, und für das Menschlichkeit und Lösungen keine Grenzen kennt.

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