Einen Überblick über die politische Landschaft in Deutschland zu behalten ist nicht ganz einfach, aber möglich. Einen Überblick über die europäische politische Landschaft zu wahren ist nahezu unmöglich. Die Spektren und Strömungen verschwimmen, es wird immer schwieriger richtig und falsch sauber zu trennen. Nachrichten von Entscheidungen, die gut und schlecht sind regnen durch die Nachrichtenkanäle und Sozialen Medien nur so in die Köpfe der Menschen. Es wird Zeit den See, der sich im Kopf angesammelt hat, ein wenig zu ordnen.
Ein Hoch auf Meinungspluralismus, oder?
Ich versuche mich in Sachen Politik und Meinung immer möglich breit zu informieren. Möglichst breit heißt in meinem Fall, dass ich mir neben den üblich nüchternen Berichten und Meldungen auch gerne Artikel durchlese, die man heutzutage in irgendeiner Richtung verordnet – sei es Rechts, Links oder einfach nur die Mitte. Das heißt allerdings nicht, dass ich die Facebook-Seite der NPD als Informationsquelle nutze. Und das heißt genauso wenig, dass ich Kundgebungen der MLPD als faktenbasiertes Medium wahrnehme.
Heutzutage fällt es mir jedoch um einiges schwieriger mir eine umfassende Meinung zu bilden. Man könnte sagen, dass ich zunehmend politisch verwirrt bin. Man könnte aber auch sagen, dass die Verflechtungen vieler Dinge einfach alles ziemlich kompliziert gemacht haben, sodass es kaum noch „die eine richtige Meinung“ geben kann. Und dass es dieser Umstand ist, der es Parteien recht schwierig macht, meine Vorstellungen von Staat und Gesellschaft widerzuspiegeln.
Wie schon erwähnt, versuche ich mir ein möglichst breites Bild von Themen zu machen, denn die Hölle unsere Zeit ist ein Leben in Filterblasen – und das blinde Vertrauen darin. So geschieht es, dass ich mir Artikel der taz und der ZEIT, die nun doch eher Links bzw. links-liberal zu verorten sind, genauso anschaue wie die von eher Rechten Blogs wie der Achse des Guten, oder der mitte-rechts ausgerichteten FAZ. Bevor mir jetzt irgendjemand die Tür einrennt: Rechts hat erstmal nichts mit Nazis und Hitler zu tun, sondern ist eher eine Abgrenzung zum linken Spektrum und vertritt eine konservativ-bürgerliche Ausrichtung.
Die verschiedenen Positionen innerhalb dieser und anderer Medien zeichnen sich für mich dadurch aus, dass sie meist (mehr oder weniger) argumentativ begründet sind, also auch eine Grundlage dafür schaffen, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Genauso schaue ich gerne auch auf Reden von Politikern, für die allerdings das gleiche gilt. Nun stoße ich mich aber immer öfters an Dilemmata, sodass ich Dilemma schon im Plural benutzen muss.
Die Ambivalenz von Pflanzenschutz
Ganz aktuell kann man das in Sachen Glyphosat-Verwendung beobachten. Die öffentliche Meinung ist recht klar. Das ist Chemie, das gehört verboten. Und doch regen sich daran Zweifel, vor allem nachdem Deutschland in der EU für die Fortführung der Nutzung ausgesprochen hat. Oft liest man Sätze wie „Die Dosis macht das Gift“, oder „Wie sollen die Bauern sonst ihre Ernte schützen?“. Berechtigte Einwände. Aber berechtigt genug, um Glyphosat zu rechtfertigen? Oder ist das alles nur politische Traktierung? Und wie sieht das alles aus, wenn das Getreide erst teurer wird?
Zwischen Moral und Vernunft
Ein weiteres ergiebiges Beispiel hierfür ist die Flüchtlingspolitik. Eine Frage auf die es wohl keine richtige Antwort gibt. Mein humanistisch-christlicher Geist sagt mir, dass es einfach falsch wäre Menschen abzuweisen, die Schutz benötigen, die vor Krieg flüchten und womöglich sonst den schlimmsten Gräueltaten ausgesetzt wären. Dass die Menschen einfach nur in Frieden leben möchten und ihre Kinder nicht im Schutt zerbombter Häuser sterben sehen wollen. Und dass Sie deshalb in Deutschland und Europa anklopfen, die nicht ganz unschuldig an der Lage der Welt sind. Dann lese ich einen Artikel über Syrer, die in kürzester Zeit Deutsch lernen, dankbar dafür sind, dass Sie aufgenommen wurden, und sich mehr als erkenntlich für ihren Schutzstatus zeigen. Ich freue mich und klicke durch die Bilder, auf denen junge Syrer darauf bestehen einer alten Dame in der Nachbarschaft die Hecke zu schneiden. Ich könnte mich damit zufrieden geben, doch dann würde ich ja in meiner Filterblase leben.
Stattdessen klicke ich weiter, und stoße auf gesammelte Meldungen über Respektlosigkeiten, Schlägereien und Messerangriffe durch Flüchtlinge. Dinge, die völlig entgegengesetzt dessen stehen, was ich da gerade vorhin gelesen habe. Also prüfe ich jeden einzelnen Vorfall nach, suche nach Pressemeldungen der Polizei und gelange zur traurigen Erkenntnis, dass es sich viel zu oft um wahre Begebenheiten handelt. Junge Menschen, die sich wegen Bagatellen gegenseitig niederstechen, oder gar Menschen angreifen die ihnen eigentlich helfen wollen. Und dieses polarisierte Bild zeichnet sich weiter – während ich an der einen Stelle über die Bereicherung durch Fähigkeiten der Flüchtlinge lese, lese ich an der anderen Stelle über Sozialtourismus und die Überlastung deutscher Ämter. Während die einen die Möglichkeiten der Zuwanderung aufzeigen, zeigen die anderen die Gefahren auf – so weit, dass alles ins Extreme wandert – von der Auflösung unserer Nationalstaaten bis hin zu Schüssen auf Kinder an der Grenze. Und am Ende sucht man irgendwo die Wahrheit dazwischen: Kontrollierte Zuwanderung? Geht das überhaupt, wenn eine Millionen Menschen an den Grenzübergängen stehen? Und geht das überhaupt sie alles zu versorgen und in Deutschland zu integrieren? Ein Christ könnte auf fragen: Hättest du damals Maria und Josef an deiner Haustür abgewiesen? Auch wenn hunderte andere gekommen wären, die Hilfe brauchen?
Recht haben oder richtig handeln?
Ein anderes Beispiel – die Eurorettung. Alice Weidel hat in einer Rede im Bundestag Helmut Kohl zitiert, der schon damals die gemeinschaftliche Haftung europäischer Länder innerhalb einer Währungsunion ablehnte. Und sie hat auch Recht wenn sie sagt, dass es ein Vertragsbruch ist das zu tun. Sei es mit Eurobonds oder Rettungsschirmen für Griechenland. Und dann frag ich mich ganz kontra-faktisch was passiert wäre, wenn wir auf unser gutes Recht bestanden hätten und Länder wie Griechenland sich selbst überlassen hätten. Ich weiß nicht ob es uns schlechte oder besser ginge. Ob die Griechen mit ihrer Drachme glücklich geworden wären, oder ihr letztes Hemd für ein Stück Brot gegeben hätten. Aber ich frage mich auch ob all das auch wirklich so alternativlos gewesen ist, und ob es vielleicht nicht einen anderen Weg gegeben hätte. Denn eines ist nicht abzustreiten – den Griechen geht es nicht wirklich gut.
So stehe ich vor einer ganzen Reihe von Fragen, auf die es eine größere Reihe von Antworten gibt. Ich stimme mit Positionen der Grünen überein – beim Umweltschutz etwa, der eben für unseren ganzen Planet die Existenzgrundlage sichert. Ich mag auch mit der SPD und der Linken übereinstimmen, die eine Anhebung des Mindestlohns fordern, damit niemand, der – egal wie – 40h pro Woche ackert sich um seine Existenz Sorgen machen muss. Dann lese ich von dem Vorschlag der FDP, die sagt, die Wirtschaft kümmert sich schon darum, dass die Leute anständig bezahlt werden und lieber die Steuern des Mittelstandes entlastet werden, und denke mir, das hört sich doch auch nicht verkehrt an. Dann kommt die CDU, die mehr Polizisten einstellen will, und ich denke mir – gute Idee, sofern die Qualität der Ausbildung stimmt. Und ich kann mich am Ende auch nicht meine Augen vor der AfD verschließen, wenn sie auf die widrige Rechtmäßigkeit der Euro-Rettung verweist, oder auch auf die Probleme wie Sozialtourismus oder Kriminalität, die eben auch ein Effekt der Flüchtlingsströme sind. (Die AfD will aber eben immer noch auf Menschen schießen und den Klimawandel leugnen).
Die Macht der Idee scheitert an der Realität
Am Ende sehe ich nochmal auf ein Muster des Wahlzettels mit all meiner politischen Verwirrtheit, und würde an liebsten in jeder Reihe Kreuze für gute Ideen machen, die mit der guten Moral zu vertreten sind. Die Kreuze wären zahlreich. Erweitere ich das ganze noch mit vernünftiger Begründung oder Umsetzbarkeit sieht das Ganze schon wieder anders aus, und die Kreuze werden ein gutes Stück rarer. Und schaut man auf die gescheiterte Jamaika-Sondierung, dann werden auch zwei Dinge klar – der Schuldige ist immer schnell gefunden; und die Menschen brauchen einfache Antworten auf komplizierte Sachverhalte. Und wie man es in der Regel handhabt, so ist es früher oder später ohnehin falsch. Im Zweifelsfall ist es einem lieber, dass es eher später falsch ist. Groß ist der Aufschrei, wenn es einmal umgekehrt ist. Aber das ist auch ein Problem der Differenzierung – je differenzierter man etwas betrachtet, desto unverständlicher wird es für andere und desto schwieriger wird es eben DIE Antwort zu finden.
Am Ende bin und bleibe ich jedoch lieber verwirrt, als dass ich Menschen hinterherlaufe, die meinen die Antwort auf alle Fragen zu kennen. Denn ich kann Chemie auf Äckern schlecht finden, aber den Bauern durchaus eine Zeit zur Umrüstung und Umstellung gewähren. Und ich kann glücklich dafür einstehen, dass Deutschland humanitäre Verantwortung übernimmt, aber doch auch gleichzeitig davon ausgehen, dass Menschen die dies missbrauchen entsprechende Konsequenzen davon tragen und hoffen, dass all diese Hilfe in einen geordneteren und struktuierteren Rahmen ablaufen wird, als sie das bis jetzt tut. Und ich kann auch gerne der Regierung und der EU Rechtsbrüche vorwerfen, sollte aber immer dabei bedenken, dass hinter den Paragrafen mit denen ich mich brüste, letztlich Menschen stehen, die vielleicht sogar das StGB oder BGB momentan nutzten müssten, um ihr Lagerfeuer in Gang zu halten.
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